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Hessens erste „Stadt-Uhus“

Hintergrundinformationen zur möglichen Brutansiedlung in Marburg

zusammengestellt von Dominic Cimiotti

Der Uhu

Der Uhu ist die weltweit größte Eulenart. So weist sein englischer Name „Eagle Owl“ (= Adlereule) darauf hin, dass es sich um eine dem Adler ebenbürtige, große und kräftige Eule handelt. Ein Uhu ist etwa doppelt so groß und bis zu zehn Mal so schwer wie die ähnliche Waldohreule und sogar rund vierzig Mal schwerer als ein Sperlingskauz. Im Gegensatz zum englischen Namen leiten sich sowohl sein deutscher, als auch sein wissenschaftlicher Name (Bubo bubo) von seinem charakteristischen Ruf her. Der tiefe und durchdringende Balzruf, der vor allem im Winter und zeitigen Frühjahr geäußert wird, ist weithin hörbar, lässt sich aber nur schwer orten.

Der Uhu ist ein Weltbürger: Sein riesiges Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Europa bis nach Asien und Nordafrika. In Nordamerika wird er durch eine verwandte Art, den Virginia-Uhu (Bubo virginianus), vertreten. Bei uns in Mitteleuropa bewohnt der Uhu vor allem strukturreiche Landschaften im Mittelgebirge und im Voralpenraum. Aber auch in Schleswig-Holstein gibt es mittlerweile wieder stabile Bestände. Zum Jagen bevorzugen Uhus offene und nur locker bewaldete Flächen. Reviere werden gerne in der Nähe von Gewässern gegründet, da es hier meist auch ein entsprechend hohes Nahrungsangebot (z.B. Wasservögel) gibt. Was die Ernährung angeht, sind Uhus aber nicht sehr wählerisch. Ihr Beutespektrum reicht von Nagern über Igel bis zu Greifvögeln und anderen Eulen.

Die rund 35-tägige Brutzeit beginnt bei uns in der Regel Mitte März. Die Jungen können ab einem Alter von etwa fünf Wochen im Horstbereich umherlaufen, nach 50-60 Tagen sind sie flügge, werden aber noch bis September von den Altvögeln versorgt. Uhus können in freier Wildbahn bis zu 27 Jahre alt werden. Im ersten Lebensjahr nach dem Flüggewerden beträgt die Sterberate jedoch rund 70%, bei Altvögeln pro Jahr etwa 20%.

Allgemeine Quellen zum Uhu: Burbach (2000), Mebs & Scherzinger (2000), http://ageulen.de, http://www.egeeulen.de


Der Uhu in Hessen ...

Der Uhu war in Mitteleuropa noch vor wenigen Jahrzehnten ein sehr seltener Brutvogel, in vielen Gebieten sogar bereits ausgestorben (Mebs & Scherzinger 2000). Hauptursache dafür war die intensive Verfolgung durch Jäger, die ihn als Konkurrent für das „Niederwild“ (vor allem Hasen) betrachteten; eine wichtige Rolle spielte außerdem die Entnahme von Junguhus aus dem Horstbereich („Aushorsten“) für die so genannte Hüttenjagd (Mebs & Scherzinger 2000). Dabei wurde der Uhu später als Lockvogel vor das Versteck des Jägers gesetzt, um Greifvögel und Krähen anzulocken, die den Uhu als ihren natürlichen Feind attackieren wollten.

So verwundert es kaum, dass der Uhu als hessischer Brutvogel verschwand. In der Avifauna von Hessen der HGON findet man hierzu folgende Angaben (Burbach 2000): Die letzte Brut in Hessen wurde 1914 im Kreis Waldeck-Frankenberg festgestellt. Im Jahr 1938 kam es hier noch einmal zu einem erfolglosen Brutversuch. Seitdem galt der Uhu in Hessen als ausgestorben. Ab den 1960er Jahren wurde dann besonders in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit der Auswilderung von in Gefangenschaft nachgezüchteten Uhus begonnen. Nach Angaben der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V. (EGE) wurden in Deutschland allein zwischen 1974 und 1994 fast dreitausend Uhus in die freie Wildbahn entlassen (www.egeeulen.de).

Als Folge der Wiederansiedlungsbemühungen in den angrenzenden Bundesländern konnten dann in Nordhessen ab etwa Mitte der 1970er Jahre wieder vermehrt Uhus beobachtet werden. Im Jahr 1977 kam es wieder zu einem Brutnachweis im Lahn-Dill-Kreis (siehe Burbach 2000). Heute beträgt der hessische Brutbestand wieder etwa 100 bis 120 Brutpaare (HGON & VSW 2006). Die Verbreitung umfasst aktuell alle Landesteile (Burbach 2000; HGON, AG Eulen 2007). Neben der Einstellung der Verfolgung, den Auswilderungs-Programmen und zeitweise Horstbewachung hat der Uhu in Hessen vor allem von den zahlreichen Steinbrüchen profitiert, die ihm als wichtiges Sekundärbiotop dienen. Denn natürliche Felsformationen sind in Hessen eher rar.

Die modernen Probleme des Uhus bestehen vor allem in Störungen am Brutplatz durch Klettersport und Rohstoffabbau. In einigen Fällen gehen die Störungen auch von unvorsichtigen Vogelbeobachtern und Fotografen aus. Eine große Gefährdung stellen auch der Straßenverkehr und ungesicherte Freileitungen dar, an denen viele Uhus verunglücken.


... und im Landkreis Marburg-Biedenkopf

Die Geschichte des Uhus im Kreisgebiet kann man am besten in dem entsprechenden Artkapitel des Buches „Die Vogelwelt des Landkreises Marburg-Biedenkopf“ (Wagner 1992) nachlesen. Nach den dort genannten Quellen soll der Uhu in den 1880er Jahren „in den Felsen an der Sackpfeife, am Helenenstein und im Biedenkopfer Stadtwald“ gebrütet haben. Da der Ostkreis auf Grund seiner Geologie kaum natürliche Felswände aufweist, werden frühere Bruten hier als unwahrscheinlich angesehen.

Nach der Ausrottung in Hessen wurde im Kreisgebiet erstmals wieder 1980 ein einzelner Uhu in einem Steinbruch im Ebsdorfer Grund nachgewiesen. Im Jahr 1983 brütete dann ein Uhu-Paar unweit unserer Kreisgrenze im Vogelsbergkreis. Aber erst 1988 gelang ein erster Brutnachweis im Kreisgebiet im Westkreis (Wagner 1992). Seitdem ist der Brutbestand auf etwa 10-15 Paare angewachsen (HGON, AG Eulen 2007; eig. Recherchen). Die Bestandsentwicklung kann auch in den Naturkundlichen Jahresberichten Marburg-Biedenkopf (siehe www.hgon-mr.de) verfolgt werden.


Mögliche Brutansiedlung in Marburg

Nachdem bereits seit Januar 2008 erste „Gerüchte“ über die Anwesenheit eines Uhus in Marburg kursierten, entdeckten Axel Wellinghoff und Andreas Trepte am 15.3.2008 den möglichen Schlafplatz. Doch die Überraschung war groß: Es waren zwei Uhus! Noch überraschender war jedoch ihr Aufenthaltsort: der Südturm der Elisabethkirche mitten in Marburg! In den folgenden Tagen wurden dann durch zahlreiche Beobachter sogar mehrfach Paarungen der beiden Vögel auf einem Baum neben der nahe gelegenen Michaeliskapelle festgestellt. Am 18.3. gelang es Axel Wellinghoff, eine Beuteübergabe (Ratte) des Männchens an das Weibchen am Südturm der Elisabethkirche fotografisch zu dokumentieren. Möglicherweise brütet das Weibchen im Inneren des Südturms bereits. Das Brutgeschehen an der Elisabethkirche wird auf dieser website (www.marburger-vogelwelt.de) fortlaufend dokumentiert werden. Mittlerweile verdichten sich die Anzeichen, dass sich im Stadtgebiet von Marburg sogar noch mindestens ein dritter Altvogel aufhält.

Wenn man von einem Aktionsradius von 3 km um den Horstbereich ausgeht (siehe Glutz von Blotzheim & Bauer 1994), umfasst das Jagdgebiet der Uhus an der Elisabethkirche nahezu das gesamte Marburger Stadtgebiet von Wehrda bis zur Südspange. Aber auch Teile des Lahnvorlandes, der Lahnberge und die Feldflur zwischen Marburg und Wehrshausen könnten von den Uhus aufgesucht werden. Andererseits beschränkt sich der intensiv genutzte Bereich zur Balz- und Brutzeit auf 1-1,5 Quadratkilometer, also einen Radius von nur etwa 2 km um den Horst (Glutz von Blotzheim & Bauer 1994). Eine wichtige Rolle für die Ernährung der Marburger „Stadt-Uhus“ könnte die Lahn spielen, wo Wasservögel und Ratten als Beute in Frage kommen. Aber auch Rabenvögel und Stadttauben könnten im Siedlungsbereich leicht erbeutet werden. So befindet sich im Bereich des Hörsaalgebäudes derzeit ein Schlafplatz mit mehreren hundert Rabenkrähen und Dohlen. Zu einem Problem können kranke Straßentauben werden, da sie oft mit Trichomonaden und Herpesviren infiziert sind. Hierüber liegen aber aus Marburg keine Angaben vor.

Das Marburger Uhu-Paar hat sich mit der Elisabethkirche als vermutlichen Brutort einen wahrlich historischen Ort ausgesucht. Die Elisabethkirche wurde ab dem Jahr 1235 als erste rein gotische Hallenkirche im deutschen Kulturraum über dem Grabmal der heiligen Elisabeth von Thüringen erreichtet. Wegen der Verehrung der heiligen Elisabeth war die Kirche im späten Mittelalter ein bedeutender Wallfahrtsort. Aber auch heute noch wird sie von vielen Gläubigen besucht, zuletzt besonders im „Elisabethjahr“ 2007. Der Südturm, in denen die Uhus vermutlich brüten, ist übrigens rund 80 m hoch. (Quellen zur Elisabethkirche: www.elisabethkirche-mr.de, www.wikipedia.de).


Der Uhu als Turmfalke?

„Die klassischen Rückzugsgebiete liegen vorwiegend in Mittelgebirgen und am Alpenrand, wo es Felsen oder Steinbrüche gibt, die der Uhu als Brutplätze bevorzugt“. So ist es dem Eulenbuch von Mebs & Scherzinger (2000) zu entnehmen. Allgemein gilt der Uhu als eher scheu und zurückgezogen lebend, wenngleich Bruten nicht selten in Steinbrüchen vorkommen, in denen noch Abbau betrieben wird. Dort wo Felswände fehlen (z.B. in Norddeutschland), brüten Uhus auch in verlassenen Greifvogelnestern oder einfach direkt auf dem Boden. Aber eine Uhu-Brut an einem Bauwerk, wie man das sonst von Turmfalken kennt? Und das, nachdem die Art in Mitteleuropa doch durch den Menschen an den Rand der Ausrottung gebracht wurde?

In Hessen fanden bisher jedenfalls fast alle Uhu-Bruten an Felswänden statt (Burbach 2000). Nur im Bereich des Kühkopfs am Oberrhein werden regelmäßig Bodenbruten vermutet (HGON, AG Eulen 2007). Aber es finden sich auch ganz wenige Hinweise auf Bauwerksbruten: So kam es 1990 zu einem Brutversuch an einer Schlossruine im Rheingau-Taunus-Kreis (B. Flehmig in Burbach 2000). In diesem Jahr wurde im HGON-Birdnet (www.hgon-birdnet.de) zudem durch Joachim Bernecke von einer Brut in der Schlossmauer in Braunfels berichtet. Der Schlosspark in Braunfels ist jedoch eher ein beschaulicher Ort und die Kernstadt von Braunfels hat gerade einmal 6.000 Einwohner (www.braunfels.de). Zum Vergleich: In Marburg mit seinen Ortsteilen leben über 79.000 Menschen (www.marburg.de). Die Elisabethkirche liegt zudem an einem Verkehrsknotenpunkt innerhalb Marburgs und zählt zu den meistbesuchten Orten. Unsere Ansiedlung ist also kaum mit den bisherigen Feststellungen in Hessen vergleichbar.

Und außerhalb Hessens? Der Uhu-Experte Martin Lindner ist dieser Frage intensiv nachgegangen (siehe Lindner 2007). Demnach finden sich von Mitte des 16. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Nachweise von Gebäudebruten in Deutschland. Besonders Bruten in Ruinen, welche nach Ende des Dreißigjährigen Krieges überall zu finden waren, scheinen recht häufig vorgekommen zu sein. Am bekanntesten war jedoch der Brutplatz am Turm der Marienkirche in Wismar im 16. Jahrhundert, der noch heute steht. Ende des 19. Jahrhundert wurden Gebäudebruten (und der Uhu insgesamt) selten. Die letzten dokumentierten Gebäudebruten fanden lt. Lindner an der Marienfeste in Würzburg, der Ruine Niederhaus im Karthäusertal (Bayerisch-Schwaben) und noch einmal 1927 auf der Karlsburg bei Karlstadt im Maintal statt. Danach gab es bis 1975 auf Grund des Zusammenbruchs der Uhupopulation vermutlich keine Gebäudebruten mehr.

Heute ist der Uhu jedoch bei seiner Brutplatzwahl immer noch - oder wieder - flexibler, als viele bisher dachten. So brütete nach Lindner (2007) nach der Wiedereinbürgerung in Niedersachsen ein Uhu-Paar in einem Wanderfalkenkasten an einem Fernmeldeturm, in Hamburg brütete ein Paar an einem Grabdenkmal auf einem Parkfriedhof und in Schleswig-Holstein in einem Schießstand. Aber diese Bauwerksbruten sind immer noch die Ausnahme und nicht die Regel. Seit 1975 zählte Lindner bundesweit etwa 50 Brutplätze an Bauwerken (das entsprach z.B. in 2006 nur 1% aller Bruten). Ruinen, Schlösser etc. stellten seitdem zwölf und Kirchen nur acht der Bauwerksbrutplätze! Die Mehrzahl der Plätze verteilt sich neuerdings auf Industriegebäude und Gebäude in Steinbrüchen und Kiesgruben.

Das Hauptproblem bei den jüngeren Bauwerksbruten waren menschliche Störungen. Besonders Brutplätze an Ruinen und Kirchen waren davon betroffen und werden deshalb meist nur ein bis drei Jahre besiedelt. Außerdem ist die Unfallgefahr durch Verkehr und Freileitungen für „Stadt-Uhus“ allgemein größer.

Hoffen wir trotzdem, dass bei unseren Marburger „Stadt-Uhus“ alles gut geht, sie erfolgreich brüten und sie auch nächster Jahr wieder kommen! Die mögliche erste hessische Kirchen-Brut ist jedenfalls eine große Besonderheit für die Elisabethkirche und die ganze Stadt Marburg.


Quellen

Burbach, K. (2000): Uhu - Bubo bubo (Linné 1758) – In: HGON (Hrsg.): Avifauna von Hessen, Bd. 4, Kap. 17.2.2.1: 1-18.

Glutz von Blotzheim, U. & Bauer, K. (1994): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd. 9 (Columbiformes – Piciformes). Aula-Verlag, Wiesbaden.

HGON & Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland (2006): Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten Hessens – 9. Fassung, Stand Juli 2006. Vogel und Umwelt 17: 3-51. (Kurzfassung auf http://www.hgon.de/download/pdf-dateien/Rote_Liste_Hessen.pdf; 23.3.2008)

HGON, AG Eulen (2007): Ergebnis der Brutzeiterfassung von sechs Eulenarten in Hessen 2005. (Kurzfassung auf http://www.hgon.de/download/ornithologie/eulen2005.pdf; 23.3.2008)

Lindner, M. (2007): Der Uhu (Bubo bubo) als Bauwerksbrüter - mit Vergleich zum Wanderfalken (Falco peregrinus). Eulen Rundblick 57: 43-44.

Mebs, T. & Scherzinger, W. (2000): Die Eulen Europas – Biologie, Kennzeichen, Bestände. Kosmos, Stuttgart.

Wagner, G. (1992): Uhu - Bubo bubo (Linné 1758) – In: HGON, Arbeitskreis Marburg-Biedenkopf & Kreisausschuß des Landkreises Marburg-Biedenkopf (Hrsg.): Die Vogelwelt des Landkreises Marburg-Biedenkopf, 1. Lieferung. Marburg, S. 279-1 – 279-3.impressumbild0202

http://www.hgon.de/ornithologie_eulen.htm

http://ageulen.de/

http://www.egeeulen.de/

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